Wohnen am Chaoyang Park:
Der Einstieg in unser siebtes Jahr gelang leicht: Wir konnten uns in unserer im Mai bezogenen Wohnung im Compound „Victoria Gardens“ wohlfühlen. Stephan vermisst immer noch ab und an den „Glanz und Glamour“ von Sanlitun – dem hippen Ausgehviertel, das wir sechs Jahre lang vor der Nase hatten, doch ich fand und finde unsere neuen ZWEI Balkone wunderbar. Besonders der Schmale zum Innenhof lädt zum Frühstücken ein!!! Und die Nähe zum Chaoyang Park (drei Laufminuten) ist grandios. Wir könnten dies noch viel öfter nutzen, aber unsere Lieblingslaufrunden sind natürlich längst abgesteckt. Dauerkarte sowieso!
Klar, vom 27. Stock der modernen Hochhaustürme in den 5. Stock des etwas heruntergekommenen Victoria Gardens ist schon ein kleiner Abstieg, aber ein verschmerzbarer.
MoBike und Co:
Den schönsten Schnappschuss eines irgendwo in der Botanik abgestellten Leihfahrrades seht Ihr HIER:
Die große Menge an Leihfahrradfirmen ist jedoch abgeebbt. Es gab zuweilen etwa 14 Anbieter; jede Straßenkreuzung bot ein Meer an Fahrrädern, in den verschiedensten, firmeneigenen Farben.
Durchgesetzt haben sich nun zwei Anbieter: Mobike und Ofo. Ich selbst bin nun auch stolze Anwenderin der Ofo-App, doch als ich die Räder zuverlässig nutzen wollte, hatte ich so meine Schwierigkeiten. Bald entwickelte ich einen Schnelltest, um einen fahrbaren Untersatz (etwas Besseres sind die Dinger wirklich nicht) zu finden: Es gilt Folgendes zu überprüfen, bevor man das Rad versucht auszuleihen:
- Kann der Sattel noch verstellt werden, oder muss ich mir, wie Don Quixote, die Knie am Lenker stoßen? (Für Stephans Körpergröße sind die Gefährte gänzlich ungeeignet!)
- Funktioniert der Ständer oder pikt er seitlich hervor, sodass man jeden Fußgänger im Vorbeifahren aufspießt?
- Sind Pedalen dran? Oder die Kette? (Ich sehe Euch lachen, aber nicht alle Räder sind so komplett ausgestattet…)
Wenn dann auch das Freischalten über die App funktioniert, bin ich eine relativ glückliche Ofo-Nutzerin. Aber auch hier gibt es immer wieder Probleme und man hängt in einer Warteschleife, oder man erhält keine Bestätigung für die Rückgabe des Rades (am Ende der Leihfahrt)….somit weiß man dann nicht, wie viel Geld abgebucht wird. Aber wenn alles klappt, ist das Nutzen des Leihfahrrades echt eine Alternative. Die Dinger sind natürlich sauschwer, weil die Vollgummireifen ihr Gewicht haben, aber es ist tatsächlich eine Freude, endlich mal nach Herzenslust die im Lenker integrierte Klingel zu benutzen, so, wie es die Chinesen auch lieben!
So ein Leihfahrrad kann ja auch wirklich gut für ganz andere Zwecke genutzt werden. Hier wurden in den Hutongs neue Kabel verlegt! Ofo statt Trittleiter! Sehr praktisch!
MoBike wird inzwischen auch in Hannover und anderen deutschen Städten vermarktet (OBike) und auch Konkurs gegangen, wie man lesen konnte. Doch die Firma wird sicher weiter an einem Weg arbeiten an Kundendaten zu kommen. Denn Profit will die Firma nur bedingt machen; wichtiger ist es Kundendaten zu sammeln, um spätere, neuere Entwicklungen besser auf den Markt bringen zu können, Kunden weiter und schneller aquirieren zu können. Interessante Strategie!
Reisen:
Ich habe in den vergangenen Jahren nie hier notiert, wie oft ich unterwegs bin. Es sind tatsächlich eine Reihe von Flügen, die ich jedes Jahr absolviere – teils dienstlich, teils privat. Mein ökologischer Fußabdruck wird sich wahrscheinlich erst normalisieren, wenn ich wieder in Deutschland bin. Dann wird es zur Fortbildung nicht nach Singapur, sondern nach Celle gehen. Und das ist dann auch OK. Nur hier, in unserem jetzigen Leben als „Expats“ ist es anders und das genieße ich auch.
Ein typischer Ablauf von Flugreisen im Jahr sieht so aus (vom letzten, siebten Jahr):
Abiaufgabenkommissionstreffen in Shanghai/Kursfahrt mit Klasse 12 nach Zhangjiajie, Region Hunan/Herbstferien in Hongkong, Macao und Chengdu, Region Sichuan/ Ostasienspiele in Hongkong/zu Weihnachten nach Deutschland/ und Lanzarote/Perth, Westaustralien zum chinesischen Neujahr/und Ostern/Abiaufgabenkommission in Hongkong/Fortbildung Singapur/Triathlonwochenende in Astana, Kasachstan/Sommerurlaub in D
Verrückt, aber so ist es. Dazwischen läuft der schulische Alltag auf Hochtouren, und in den Sommerferien sind Stephan und ich, beide, froh, wenn wir uns an einem Ort erholen und dort auftanken können.
Von Kasachstan waren Stephan und ich wirklich nachdrücklich beeindruckt. Die Menschen sind so hilfsbereit und haben uns mehrfach auf Englisch angesprochen, um mit uns ins Gespräch zu kommen oder Hilfe anzubieten. Die „junge“ Gesellschaft ist aufstrebend, modern eingestellt, aber herzlich und der eigenen Kultur verbunden. Die Landschaft muss atemberaubend sein – davon haben wir beim Stadtbesuch von Astana nicht sehr viel gesehen. Dafür waren die Gebäude und Straßen, die der Präsident (auch auf Lebenszeit nach Gesetzesänderung eingesetzt! siehe unten) für die neue Hauptstadt erbauen ließ umso beeindruckender.
Präsident Xi, der neue König:
Es wurde viel geschrieben und berichtet als Präsident Xi im Rahmen des großen Volkskongresses im März 2018 die Abstimmung zur Veränderung der Statuten veranlasste, die besagen, dass ein chinesischer Präsident nur begrenzte Zeit regieren dürfe (eingeführt in den 80iger Jahren zum Schutz vor Amtsausnutzung). Er darf jetzt auf Lebenszeit regieren, es sei denn er wird abgesetzt….womit niemand rechnet! Außerdem hält er drei Ämter inne, so mächtig war zuletzt nur Präsident Mao. Xi hat königliche Macht, sagen die Chinesen.
Das ist die politische Ebene, die man kritisch sehen und kritisieren darf, aber auf gesellschaftlicher Ebene ist das Ausmaß dieser Veränderung enorm und nimmt auch skurrile Züge an: z.B. darf die Zeichentrickfigur Winnie Puh nicht mit dem Präsidenten in Verbindung gebracht werden; es wurden Ähnlichkeiten festgestellt und das würde die Würde des Amtsträgers schmälern. Nicht nur der soeben angelaufene Kinofilm (August 2018) wurde zensiert, sondern Youtube- und andere Filmkanäle, wo die Zeichentrickfilmchen zu sehen waren, wurden bereits blockiert.
Des weiteren werden alle Namen im öffentlichen Leben, die den Begriff „König“ beinhalten, eliminiert und ausgetauscht – nur Präsident Xi dürfe dieser Titel als Herrscher zustehen.
Z.B. wurde der Name des Compounds unserer Nachbarn im Frühjahr umbenannt. Zuvor hieß es der Gebäudekomplex „Kingston“ ….nun heißt er xxxxxxxx, sehr blumig, wie ich finde. Steht unserem „Victoria Gardens“ in nichts mehr nach. Ich war nur etwas überrascht als ich große, neue Buchstaben dort entdeckt hatte – ein neuer Schriftzug am vordersten Gebäude. Und ich dachte, dass bloß das Management des Compounds gewechselt habe……. wie falsch ich damit lag, war mir zunächst gar nicht klar. Das Präsident Xis königlicher Status damit zu tun haben könnte, kam mir (unpatriotisch, wie ich bin) nicht in den Sinn. Aber allein die Tatsache, dass ein Namenswechsel vollzogen wurde, ist befremdlich und hat für mein Dafürhalten einen Beigeschmack von Höhenflug, Überheblichkeit und Anmaßung. Das konservative Hierarchiedenken wird auf die Spitze getrieben – XI steht für ALLES, der kleine Mann steht für NICHTS!
Die Investitionen in Gold nahmen nach seiner lebenslangen Ernennung ebenfalls drastisch zu im März; wer kann, der sichert sich ein Stück vom Ruhm des Präsidenten. Kaum nachvollziehbar für uns Deutsche, die sich kaum mehr mit ihrer eigenen Regierung identifizieren können.
Man könnte das jedoch auch sehr schade finden: Ich erinnere mich, als ich den charismatischen (jüngeren) Obama habe gern reden hören, bei seiner Rede in Berlin, bevor er tatsächlich amerikanischer Präsident wurde. Wie gern hätte auch ich eine/n Präsidenten/in oder Kanzler/in/der, die motiviert, aufwühlt, zum Nachdenken bringt und zur politischen Mitgestaltung animiert. Xi hat eben eine unglaubliche Akzeptanz im chinesischen Volk, da werden solche Höhenflüge nicht kritisiert sondern mitgenossen, egal wieviel „Geschmäckle“ für uns dabei ist.
WeChat und Co:
Dass die Chinesen technisch ganz weit vorn liegen, wissen alle, die China als Überwachungssstaat einstufen. Und das ist natürlich richtig: Ja, es werden gigantische Datenmengen gesammelt und wohl auch ausgewertet. Und je öfter man das Netz und die Annehmlichkeiten wie das Online-Bestellen oder verschiedenste soziale Netzwerke nutzt, desto mehr Daten kann DER Chinese von uns horten. Ich finde das nicht grundsätzlich verwerflich. Ich weiß, dass ich mit dieser Meinung anecke, aber es gibt einfach ganz praktische Seiten, einfach technische Vorzüge, die uns in Deutschland fast hinter dem Mond leben lassen. Es gibt einfach überall Internetverbindung – selbst wenn unsere Schüler auf Exkursion in die Wüste der Inneren Mongolei fahren, haben sie mindestens ein Mal am Tag Internet und können Fotos auf ihren sozialen Netzwerken posten und ihre Eltern wissen lassen, wie anstrengend der Kamelritt oder die Auswertung der Experimente war.
Chinesen sind neugierig auf alles, was online funktioniert. Sie lieben es, Gutscheine einzulösen, die das Produkt der Begierde nur um ein paar Cent billiger machen, und sobald eine Aktivität mit dem Handy zu erledigen ist, scheint das einfach unschlagbar attraktiv zu sein. Informationen per Pixelbild einzulesen – die Verknüpfung mit der Informationswebseite erfolgt dann fast sofort – ist gängigste Methode, egal ob im Supermarkt oder im Museum.
Seit etwa einem Jahr trage ich fast kein Bargeld mehr mit mir herum, sondern bezahle online mit der WeChat-App, die mit meinem Bankkonto verknüpft ist. Ganze fünf Unterschriften musste ich bei der Bank leisten, um die Verbindung zwischen App und Konto herzustellen; bei der Bank herrscht jeweils höchste Sicherheitsstufe, ob bei Überweisung oder Auszahlung – das beruhigt mich eher, als dass es mir Angst macht (Thema Überwachung). Tatsächlich kann ich bei jedem kleinen Obsthändler, der nur ein Wägelchen durch die Straße fährt, über so ein Pixelbild bezahlen. Echt praktisch!
Und dann gibt es noch die online-Plattform „Taobao“, wo man seine Kaufwut ausleben kann. Ähnlich wie bei Ebay gibt es unzählige Kaufangebote, die online abgewickelt werden; ein Botendienst bringt die Ware dann nach hause. Die Website ist so nutzerfreundlich, dass sogar Stephan, der mit Chinesisch eher auf Kriegsfuß steht, sie nutzen kann. Wohl gemerkt: Ich schaffe das nicht, mich da online durchzublicken…. Inzwischen bestellen wir dort ab und zu, sodass meine Chiasamen oder Stephans Fahrradersatzteile schnell geliefert werden. Wieder: Sehr praktisch!
In diesem Sommer haben wir ein ähnliches Angebot von Payback und der Sparkasse gesehen. Mal sehen, wann sich mehr online-Angebote in D durchsetzten. Andere europäische Länder sind da weiter, Estland, glaube ich, marschiert vorne weg. Selbst in Astana – und Kasachstan klingt wirklich weit weg und hintern Mond – konnten wir den Nutzen des technischen Fortschritts im Online-Geschäft bei den Einheimischen beobachten. Auch wenn moderner nicht immer besser sein muss, so glaube ich doch, dass D technisch Nachholbedarf hat.
Besuch:
In all den Jahren haben Stephan und ich es sehr genossen, Besuch von unseren/r Freunden/Familie in Beijing zu bekommen. Es war stets etwas Besonderes, Euch unser Beijing zu zeigen, so, wie wir es erleben. Und Ihr alle seid offen für Neues und Ungewohntes gewesen; Ihr habt Fragen gestellt, beobachtet und genossen, dass es gaaaaaanz anders war als Ihr es euch je vorgestellt habt. Wir hatten das eine oder andere Mal schon vergessen, wie aufregend die erste Begegnung mit chinesischem Essen, der Sprache oder der Fotografierfreude der Chinesen sein konnte. Wir haben auch mit Euch gemeinsam immer wieder genau hingeschaut, hinterfragt oder einfach nur gestaunt. Vielen Dank, dass Ihr Euch getraut habt, uns im Land der Mitte zu besuchen. Vielleicht seid Ihr Euerem Qi näher gekommen; mit Sicherheit hat Euch der Einblick in das chinesische Leben reicher gemacht. So, wie uns auch! Außerdem haben wir uns auch immer wieder nicht so weit von Euch entfernt gefühlt, wenn Ihr bei uns wart. Das wiederum war für uns etwas Besonderes. Unsere Besucher:
JELENA (2x), RALPH, KRISSY, MAMI, SCHUSCHU, SYLVIA und SASCHA (2x), KAROLINA, ERK und BETTINA, LARS, MARLIES und KONRAD, SUSI und MARKUS und JOSCHA und MAYLA, RENÉ und GISA
Die 8 bringt Glück:
Die Zahl acht symbolisiert das ewige Leben und somit Glück in allen Bereichen des Lebens. Ich werde mich daran erinnern, wenn es im Sommer 2019 nach acht Jahren heißt, Abschied von Peking zu nehmen. Es wird mir schwer fallen, denn Stephan und ich hatten eine bereichernde Zeit – ich glaube, ich kann das kaum in Worte fassen.
Dann wird etwas Neues kommen – auch die Rückkehr nach D wird irgendwie neu sein, sich neu anfühlen. Etwas Neues kann aber auch nur dann (glücklich) beginnen, wenn man etwas Altes abschließt…. Wir werden dieses achte Jahr mit Freude in Beijing erleben!