Begonnen hatte unser Chinaaufenthalt 2011 mit einem sportlichen Highlight. Sicher erinnert Ihr Euch alle, wie wir der Weltmeisterschaft entgegengefiebert haben. Nach dem ersten Einleben in Peking, den ersten 3 Wochen Unterricht mit all den Vorbereitungen auf Klassenfahrten usw. war das ein ganz schöner Kraftakt, auch noch ein bisschen Training einzuflechten, aber umso schöner war dann das Erlebnis damals.
Im folgenden Jahr wurde dann erstmals ein internationaler Triathlon ausgerichtet, an dem etwa 250 Sportler – vornehmlich Ausländer – teilgenommen haben. Stephan wurde damals von ein paar Kollegen begleitet, die als Zuschauer schon Schwierigkeiten hatten, überhaupt auf das Wettkampfgelände zu kommen, um die Athleten zu sehen und zu beklatschen. Alles war hermetisch abgesperrt……die Organisatoren übervorsichtig, aber der Wettkampf war natürlich, ganz nach chinesischer Art perfekt organisiert. Die Profis dienten als Zugpferde, und Stephan konnte sogar ein bisschen mit dem australischen Profi Macca (Chris McCormack) klönen.
Letztes Jahr gab es schon deutlich mehr Teilnehmer, viel mehr Chinesen, und wir konnten sogar ein paar Kollegen überreden eine Staffel zu stellen.
Dieses Jahr wurde der Wettkampf in ein anderes Areal verlegt; doch „Fengtai“ im Westen Pekings blieb veranstaltender Stadtteil. Der riesige Expo-Park, der letztes Jahr zur Gartenausstellung angelegt worden war, diente nun als Austragungsort: der Fluss ist dort zum See aufgestaut, (die Entlein wurden zum Wettkampf eingepfercht), die Wege – oder sollte man eher sagen „Straßen“, sind weiträumig angelegt. In der Länge misst der Park sicher 5 km……welcher chinesischer Spaziergänger mag diese Strecke wohl bewältigen (?). Dass der Hochgeschwindigkeitszug auf einer Hochtrasse den Park überquert, tut dem Naherholungswert (dieses Wort gibt es übrigens im chinesischen Wortschatz nicht) keinen Abbruch.
Die Wechselzone wurde unter einer etwa 50m hohen Hochstraße – einer 8spurigen Autobahn am Ende des Parks – eingerichtet. Die Dimensionen waren wieder einmal gigantisch.
Die Teilnehmerzahl hat sich im Vergleich zum ersten Jahr verfünffacht: Am Sprint nahmen etwa 250 Sportler teil (ich auch), und an der olympischen Distanz fast 1000 Athleten. Auch unsere Teilnehmergruppe der DSP hatte sich erweitert: 2 Staffeln sind dieses Mal gestartet, und wir lieferten uns ein spannendes Rennen mit mehreren Führungswechseln. Tolle Stimmung, obwohl das Wetter mit viel Wind und morgendlicher Trübheit uns nicht so wohl ge“sonnen“ war.
Stephan und ich sind schon am Freitag gleich nach der Schule aufgebrochen, d.h. wir haben uns per „Bezahl-Fahrer“ zum Hotel am Expo-Garden Park fahren lassen. Obwohl die Straßen besonders im Westen der Stadt frei waren, dauerte die Tour 1h….so groß ist Peking. Manchmal vergessen wir das, denn der Radius, in dem wir uns im Alltag bewegen ist vielleicht 5 km im Durchmesser.
Kaum angekommen, fühlten wir uns wieder unter Sportlern: In der Hotellobby saßen oder standen gut trainierte Chinesen, überall standen Hochleistungsräder oder Radkoffer herum; vor dem Aufzug flitzte der australische Profi mit seiner Begleiterin an uns vorbei – im Raddress. Wir legten kurz in unserem schicken Zimmer ab und liefen zum angeschlossenen Konferenzzentrum, um unsere Startunterlagen abzuholen. Wie erwartet war alles prima organisiert……auch wenn Stephan in seinen Unterlagen die falsche Nummer vorfand, konnten wir das Problem umgehend klären, und die richtigen Inhalte wurden ihm ausgehändigt. Anschließend nahmen wir noch an der englischsprachigen Wettkampfbesprechung teil, die ein aufgeblasener Amerikaner abhielt; war aber ganz gut, denn die Streckenführung der Radstrecke hatte sich zum Vorjahr geändert. Allerdings war ich dann auf der Strecke dann doch etwas überrascht von einigen fiesen Steigungen….hatte wohl doch nicht so aufmerksam zugehört ☹
Für meinen kleinen Sprint-Wettkampf sollte erst am kommenden morgen um 6.30h eine Wettkampfbesprechung stattfinden. Danach wollten wir noch einen Blick auf das neue Gelände werfen und mussten schnell feststellen, dass das Gelände r i e s i g war. Ein paar verschlungene Wege mussten wir erst auskundschaften, um dann den direktesten Weg zur Wechselzone zu finden: sie war immerhin 2.5km vom Hotel entfernt!!!! Zum Willkommensdinner waren wir dann etwas zu spät, aber es war ein chinesisches Highlight – mehr dazu später, wenn ich von den Essstäbchen berichte!
Abends ging es früh ins Bett; schließlich musste ich früh raus, mein Rad noch in der Wechselzone abstellen und mich umziehen. Stephan zeigte sich ganz solidarisch, pilgerte mit und schoss die ersten Fotos von mir und unserem Pfarrer, der ebenfalls teilnahm!
In meiner Startgruppe der Frauen angekommen stach ich gleich ein bisschen hervor – meine pinkfarbene Badekappe riss beim Aufsetzen. Vielleicht war ich dann deshalb so schnell – als erste stieg ich aus dem Wasser. Allerdings war meine Schwimmzeit mäßig – doch wenn man bedenkt, dass einige Chinesen tatsächlich mit einer Boje an den Start gehen, damit sie sich unterwegs ausruhen können, kann man sich denken, dass ich alle überholt habe ☺
Radfahren war super, aber bei einem kleinen, gemeinen Anstieg kurz vor Ende der Radstrecke konnte ich einen Sturz nur verhindern, weil ich dann inzwischen doch ganz mit meinem Drahtesel verwachsen bin: Die Strecke führte direkt am Schilfrand des Sees vorbei, und die Kurve mit dem plötzlichen Anstieg war nicht einsehbar. 4-5 Chinesen konnten nicht rechtzeitig in einen leichteren Gang schalten und mussten absteigen – mitten auf der Strecke. So machen sie es ja auf der Straße auch. Ich konnte noch schalten, ausweichen und lauthals einen Chinesen vor mir auf die Seite treiben. Das war echt knapp!
Stephan erwischte mich dann gleich zu Beginn der Laufstrecke gehend an einem steilen Anstieg, den ich nicht sogleich bewältigen konnte. Aber bei meiner Ehre gepackt, fiel ich dann natürlich in den Laufschritt. Die etwa 5,5km waren zum Schluss ganz schön hart, so dass ich mich gern schnell ins Massagezelt begeben habe. Zunächst auf dem Stuhl, dann auf der Liege habe ich meine müden Beine kneten lassen und konnte mich dann schon sehr schnell über Stephans Nachricht freuen, dass ich die anderen 10 Damen aus meiner Altersklasse hinter mir gelassen hatte.
Am Nachmittag reisten unsere Kollegen an – also ging es noch mal gemeinsam auf das Wettkampfgelände. Alle wollten sich die Wechselzone und den Schwimmstart ansehen. Stephan und die Staffelradfahrer (ich sollte auch noch einmal auf dem Rad starten) mussten sowieso noch die Räder in die Wechselzone bringen. Es wurde gefachsimpelt, aber vor allem waren alle ein bisschen aufgeregt. Ein paar Tria-Neulinge hatten wir auch dabei. Wir beschlossen bald zum Carbo-Load-Dinner zu gehen, hatten aber wieder die 2.5km bis zum Hotel vor uns. Zum Glück kam ein kleiner shuttlebus vorbei, den wir einfach anhielten und enterten. Der chinesische Fahrer konnte sich uns gar nicht erwehren und somit fuhren wir ganz entspannt zum Hotel – die gesparte Kraft sollten wir noch benötigen.
Die logistische Leistung ca. 1000 hungrige Sportler zu beköstigen wurde leider wenig geschickt gelöst. Es bildeten sich lange Warteschlangen an drei Buffets, aber der Nachschub lahmte schnell. Bald wurden die armen Kellner, die mit Nudeln und Gemüse befüllte Nachschubwagen schoben, geradezu überfallen, sodass sie das Buffet gar nicht mehr erreichten. Das war ein ganz schönes Chaos! Zuletzt wollte sich aber niemand mehr von uns dieser Schlacht aussetzen; so peinlich wäre es gewesen. Der Veranstalter hatte sicher nicht damit gerechnet, dass viele Chinesen einfach ihre ganze Familie zum Essen mitgenommen hatten – folglich wurde gehamstert, dass sich die Tische bogen. Leider blieb auch viel liegen!
Der Wettkampfsonntag begann sehr früh und sehr trüb. Wir marschierten um ca. 5.15h in Richtung Wechselzone, wo wir uns mit unseren Staffelkollegen trafen und letzte Staffelstabübergaben durchzusprechen. Der Zeitchip würde als solcher fungieren, und wir verabredeten, wer wem den Chip abnimmt und/oder anlegt. Stephan war sauer, dass er als schneller Schwimmer in der letzten Startgruppe untergebracht war – er musste sich tatsächlich durch etliche Bojenschwimmer hindurchkämpfen und kam trotzdem mit einer ansehnlichen Schwimmzeit mit deutlichem Vorsprung vor unseren Staffelschwimmern in die Wechselzone und sprang aufs Rad. Ich durfte als nächste los, wurde aber von meinem Staffelkonkurrenten bei km 8 abgefangen. Die Radstrecke führte aus dem Park heraus in die angrenzenden Westberge und über etliche kleine, fiese Steigungen wieder zurück zum Expo-Park. Mit leichtem Muskelkater vom Vortag war ich trotzdem ganz fit, spürte bei den Anstiegen meine Oberschenkel, konnte aber auf der schnellen Schlussstrecke noch Tempo machen. Allerdings war ich froh nicht noch auf die Laufstrecke zu müssen; Stephan war schon voraus gelaufen und nahm die 240 Stufen zum Tempel in Angriff, als unsere Läufer noch am Fuße des Tempels liefen. Mein Staffelläufer konnte den Vorsprung des Radfahrers wettmachen und überholte unsere gegnerische Läuferin kurz vor dem Ziel…..das war doch ein spannendes Rennen bis zum Schluss. Kaum hatten alle kurz verschnauft, wurden schon Pläne für die Wettkämpfe im nächsten Jahr gemacht: Nach dem Wettkampf ist ja bekanntlich vor dem Wettkampf ☺
Stephan war mit seinem 7. Platz dann doch ganz zufrieden, und nächstes Jahr wollen wir dann beide wieder angreifen. Hat also wieder Spaß gemacht – wie schade, dass wir das nicht öfter haben können!
Ein chinesisches Highlight möchte dich dann aber doch noch beschreiben:
Für Stephan und mich war es das Willkommensdinner am ersten Abend, das wir an einem Tisch mit Chinesen verbrachten, die aus dem nah gelegenen Tianjin (an der Küste) kamen. Die Gruppe älterer Herren, allesamt drahtig und gut trainiert, kümmerten sich liebevoll um uns „wai guo ren“ (Ausländer). Niemals zuvor hatte ich erlebt, dass sich jemand auf meine geringen Sprachkenntnisse einstellte und extrem langsam sprach. Sie fühlten sich als Gastgeber, drehten die Tischplatte zu uns, sobald neue Speisen gebracht wurden, und mehrfach mussten wir miteinander anstoßen; das bedeutete dann Aufstehen und sich im Stehen einander zuprosten oder anstoßen. Sie waren erstaunt, dass wir keinen Rotwein mit ihnen trinken wollten, schließlich seien die Deutschen doch für das Trinken bekannt. Da ich jedoch am folgenden Morgen am Sprinttriathlon teilnehmen wollte – ohne Kater – ließen sie es mir wohl durchgehen ☺
Und wir bekamen eine detaillierte Einführung in das korrekte Halten der Essstäbchen! Nachdem wir zunächst für unsere Fingerfertigkeit gelobt worden waren, nahm sich mein Tischnachbar viel Zeit, mir die noch bessere Technik zu zeigen. Erstaunlich war für mich, dass er auch seine eigenen Kumpels in die Vorführung mit einbezog, und diese auch von seiner Technik sichtlich beeindruckt waren. Wir übrigens auch! Er konnte unglaublich zielsicher und elegant die kleinsten Speisen aufnehmen, und prahlte aber auch ein bisschen mit der Beweglichkeit seines Zeige- und des Mittelfingers!
Gerade gestern habe ich erfahren, dass Chinesen das Essen mit den Stäbchen tatsächlich zelebrieren und sich auch übereinander lustig machen, wenn jemand eher bäuerlich und mit wenig Geschick die Stäbchen führt. Tischmanieren, wie das kräftige Rülpsen und Ausspucken von kleinen Knochen, die uns eher abstoßen, sind scheinbar das Eine, aber die Haltung der Essstäbchen scheint eine ganz andere Dimension zu haben als ich das bisher gedacht habe. Tatsächlich übe ich jetzt schon seit einer Woche die neue, feinere Haltung der Stäbchen und habe es schon auf eine kleine, ansehnliche Druckstelle an meinem Ringfinger gebracht ☺